Schlauch- und Armaturentechnik in der Lebensmittelproduktion
Die gefühlte Wirklichkeit: Ein Lebensmittelskandal folgt dem anderen. Der Verbraucher ist verunsichert und fragt sich, wem er noch vertrauen kann. Die geprüfte Wirklichkeit: Nie war die Lebensmittelqualität so hoch wie heute. Die andere Wirklichkeit: Viele Skandale werden anscheinend nicht zu Skandalen, weil kontaminierte Chargen entsorgt werden, bevor sie in den Handel kommen. Die ganze Wahrheit: Man weiß eigentlich viel zu wenig. Weil die Beteiligten im Prozess zu wenig miteinander reden. RS Roman Seliger hat mit dem ersten Expertengespräch zu diesem Thema ein Forum geschaffen und eingeladen: Vertreter der Wissenschaft, des Anlagenbaus, der Lebensmittelindustrie. Bis auf letztere kamen sie nach Düsseldorf und diskutierten am “Runden Tisch“: Hygienic Design in der Lebensmittelproduktion – wo stehen wir, wo geht es hin? Vor allem: Wie kommen wir gemeinsam dahin?
Dipl.-Ing. Hans-Werner Bellin
VDMA Fachverband Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen (Frankfurt)
Wir brauchen Systemanbieter, die nicht in Prozessschritten denken, sondern in Prozessen. Und wir brauchen Netzwerke, in denen das Denken und Handeln über den Tellerrand hinaus Platz findet. Aus Maschinenbausicht wäre es wünschenswert, dass mehr Komponenten zertifiziert werden könnten und damit ein Baustein geschaffen werden könnte, damit der Betreiber Unterstützung bei der Erstellung seines HACCP-Konzepts erhält. Zwar ist das Bewusstsein dafür stetig gestiegen, aber noch ist das Thema Hygienic Design eine Riesenbaustelle. Dabei ist es sicherlich nicht in erster Linie das Problem, die Ingenieure zu überzeugen. Die verstehen das Thema. Das Problem sind die Kaufleute, die Controller und die Einkäufer, die nicht Prozesse im Fokus haben, sondern den Output, Preise und die kurzfristige Rendite. Es gibt ja durchaus Beispielrechnungen, die belegen, dass die Mehrkosten von vielleicht 30 bis 40% für durchgängiges Hygienic Design mehr als ausgeglichen werden, wenn man die Ausfallkosten für Stillstandszeiten in die Berechnung aufnimmt. Hier können sich sicherlich die Verbände der Lebensmittelindustrie noch unterstützend einbringen.
Dr.-Ing. Jürgen Hofmann
Dt. Sektion EHEDG (Weihenstephan)
Die Konzeption reinigungsfreundlicher Maschinen, das so genannte Hygienic Design, ist der entscheidende Baustein in der gesamten Verarbeitungskette. Aber wenn der Maschinenschlosser von der Instandhaltungsabteilung es allzu gut meint mit der Lösung von Herausforderungen und z.B. ganz pragmatisch eine handwerklich saubere, aber im Blick auf Hygienic Design problematische Reparatur vornimmt, wird die Kette unterbrochen – und mit ihr kommt die Kontamination ins Spiel. Aber auch die Kostenspirale. Denn ein ungeeigneter O-Ring, der um einige Cent billiger war, kostet am Ende Tausende Euro! Und alle diese Nachlässigkeiten zusammengenommen kosten Milliarden. Da ist es billiger, flächendeckend Schulungen anzubieten und das Bewusstsein für Hygienic Design zu schärfen. Bei Hygienic Design können alle Beteiligten nur gewinnen. Die Verbraucher, die mit Appetit essen können, die Lebensmittel- bzw. Getränkeindustrie, die ihre Wertschöpfung und ihren Ruf verbessern kann, die Hersteller von Maschinenanlagen und -komponenten, die aus dem Binnenmarkt neue Aufträge für Hochwertlösungen erhalten. Wer sollte wider bessere Einsicht freiwillig auf Chancen verzichten?
Dipl.-Ing. Beate Kolkmann
Food-Processing-Initiative e.V. (Bielefeld)
Die medienwirksamen und teilweise mediengesteuerten Skandale um Lebensmittel verstellen den Blick auf die Realität und vermitteln ein schiefes Bild. Die Wahrheit ist: Wir haben den höchsten Stand an Hygiene und Lebensmittelqualität in der Nahrungsmittelindustrie, den es je gab, und da brauchen wir auch keinen Vergleich zu scheuen. Aber das Bessere ist bekanntlich der Feind des Guten, und natürlich gibt es auch bei uns noch viel zu tun. Häufig sitzen einfach nicht alle Fachbereiche an einem Tisch. Wenn wir innovative Prozesse wie das Hygienic Design nach vorne bringen wollen, braucht es die Bereitschaft aller Beteiligten in der Wertschöpfungskette. Bei unseren überwiegend mittelständisch strukturierten Lebensmittel- und Getränkeherstellern ist das sicher nicht das Problem, solange es gelingt, das Gefühl zu vermitteln: Da muss ich einfach dabei sein.
Dr.-Ing. Jens Reppenhagen
Geschäftsführer RS Roman Seliger (Norderstedt bei Hamburg)
Das Bewusstsein im Anlagen- und Komponentenbau für die Notwendigkeit von Hygienic Design ist in den letzten Jahren ständig gestiegen. Wir müssen aber auch sehen, dass es noch Defizite bei beweglichen Teilen gibt. Oder bei den Schnittstellen, an denen Spalten konstruktive Schwachstellen bilden. Wenn nicht am Anfang, dann spätestens bei der 1. Reinigung (die wir möglichst vermeiden sollten) mit ungeeigneten Mitteln. Wenn Komponenten völlig überstrapaziert werden, sind Stillstandszeiten programmiert. Billige Ersatzteilbeschaffung führt in der Regel erst recht zu Herausforderungen im System. Hier sitzen Komponentenhersteller und Anlagenbauer in einem Boot. Wir müssen in Systemen denken, miteinander reden, die Erfahrungen der Betreiber nutzen, um Anlagen hygienicoptimiert bauen zu können. In Hygieneprozessen ist sicherlich das Rohrleitungssystem grundsätzlich die bessere Lösung. Aber es wird immer Bereiche geben, wo es auf Beweglichkeit ankommt, wo also die Wahl auf flexible Schläuche fällt. Dann müssen Schlauch und Armatur gleichsam zum Rohr werden, also durch entsprechendes Design und entsprechende Sorgfalt im Betrieb hohen Maßstäben gerecht werden. Wir müssen einfach die Wertigkeit von Hygienic Design deutlich erhöhen. In der Pharmaindustrie jedenfalls machen wir ja vor, wie es gehen kann. Was spricht dagegen, diesen Standard auf Lebensmittel zu übertragen?
Dipl.-Ing. Torsten Runge
Krones AG (Neutraubling)
Wir bauen hochwertige Anlagen, in denen wir hochwertige Komponenten einsetzen. Aber wenn es nachher an die Wartung oder Reinigung geht, fehlt es häufig am nötigen Bewusstsein. Hauptsache billig! Das bekommen wir nur hin, wenn es gelingt, Foren für Kommunikation zu schaffen, in denen alle Beteiligten, Anlagenbauer, Instandhalter, Wartungs- und Reinigungsbetriebe und natürlich die Betreiber der Anlage zusammenkommen, ihre Standpunkte und Bedürfnisse artikulieren und anschließend über die gemeinsame Umsetzung reden. Wenn sich alle Beteiligten einig sind, dass Qualität Priorität hat, sind wir schon ein großes Stück weiter. Nur müssen wir dann auch offen über alle Schwachstellen sprechen, zum Beispiel über die weit verbreitete Beschaffung ’billiger’ Ersatzteile. Und wir müssen dafür sorgen, dass der Nachwuchs wenigstens das Bewusstsein entwickelt, um der Thematik den gebührenden Stellenwert zu geben.
Moderator Louis Schnabl,
Fachjournalist, Institut für Kommunikation Bau und Technik (Düsseldorf), Geschäftsführer HS Public Relations GmbH (Düsseldorf):
Die Lebensmittelindustrie muss eigentlich ein vitales Interesse daran haben, in der Öffentlichkeit darzulegen, mit welchen Maßnahmen sie die hygienische Herstellung ihrer Nahrungsmittel gewährleistet. Das sollte man wenigstens meinen. Die Realität sieht anders aus. Das Stichwort “Hygienic Design“ wirkt anscheinend nicht als Vorteilsargument in der Marketingkommunikation, sondern löst Unbehagen aus. Anders ist es wohl nicht zu erklären, dass gleich eine ganze Reihe von renommierten Markenartikelherstellern der Lebensmittelindustrie ebenso wie ihre Verbände die Teilnahme an diesem Expertengespräch negierte. Es darf spekuliert werden. Ein Zeichen von Stärke ist es gewiss nicht. Solange Hygienic Design kein Gütesiegel für beispielhafte Produktion ist, können die Lebensmittel- und Getränkehersteller nicht zufrieden sein. Diese Situation muss mit einer breit angelegten Kommunikationskampagne in den relevanten Verkehrskreisen, mit der Schaffung eines breiten Bündnisses auf Industrieseite und nicht zuletzt durch Aufbau politischen Drucks, der erforderlich ist, den gültigen Empfehlungen Gesetzescharakter zu geben, verändert werden.