Logistik – Sicherheit im Verladeprozess
Am 17. März 2008 hatte eine Stichflamme aus einer Ethylen-Pipeline in einem Chemiewerk (Fa. Ineos) im Chemiepark Dormagen einen 3.000-Kubikmetertank mit Acrylnitril in Brand gesetzt. Die A 57 wurde gesperrt, und die Bewohner im Kölner Stadtteil Worringen wurden aufgerufen, Fenster und Türen verschlossen zu halten, ihren Aufenthalt im Freien zu begrenzen. Auch wenn sich nach den Kontrollmessungen zeigte, dass die Belastungen unterhalb der kritischen Grenze lagen – der Imageschaden für die Chemie war – einmal mehr – im öffentlichen Bewusstsein verankert. Und wie zur Bestätigung gab es ein paar Tage später in Duisburg, nur 50 km rheinabwärts, einen weiteren Unfall: Wegen eines abgeplatzten Flansches traten in einem Chemie-Metallwerk (Grillo AG) giftige Schwefeldioxiddämpfe aus. Zwei Beispiele von vielen, wie die “Schlagzeilen“ in den Medien lauten. Aber ist das wirklich die Realität in der Chemischen Industrie?
Dipl.-Ing. Dieter Bauer
Leiter Bereich Transport der Chemion Logistik GmbH (Leverkusen)
Wir müssen uns zunächst im eigenen Bereich noch stärker für die Thematik sensibilisieren. Wir müssen aber auch über die Grenzen des eigenen Horizonts schauen und den Verladeprozess als Ganzes sehen. Solange wir in diesem Bereich z.B. keine Normierung haben, haben die Fahrer ganze Kisten voller Adapter, die oftmals sogar noch unbeschriftet oder uneinheitlich gekennzeichnet sind. Da sind Unfälle fast programmiert. Transportprozesse, Lagerprozesse, Umschlagprozesse – Chemie-Logistik erfordert an jedem Punkt der Wertschöpfungskette besondere Fachkenntnisse. Als Tocher der Bayer-Service-Gesellschaft Currenta können wir an unseren Standorten von speziellen Einzelleistungen bis zur zentralen Steuerung komplexer Prozessketten vor allem im Bereich Gefahrgut Supply Chain Management als Insider-Service leisten, ganz gleich, ob es sich um Kontraktlogistik, Entsorgungslogistik, Inbound- oder Outbound-Logistik handelt.
Jörg Bormann
Betriebsingenieur für vorbeugenden Brandschutz, Sicherheitstechnik und Leittechnik (Werkfeuerwehr) Braun GmbH (Kronberg)
Häufige Zehn-Minuten-Unterweisungen sind effizienter als jährliche Schulungstage, und ein guter Film wirkt nachhaltiger als ein Sicherheitshandbuch. Wenn unsere Bemühungen um mehr Sicherheit erfolgreich sein sollen, müssen wir die Mitarbeiter im Verladebereich da abholen, wo sie wirklich stehen, und so ansprechen, dass sie es verstehen! Wenn es zum Unfall kommt, zeigen sich schnell die Folgen allzu bedenkenlosen Outsourcings von Werkschutz oder Betriebsfeuerwehr – was ich zu zahlen bereit bin, bekomme ich auch. Sicherheitskräfte, die nicht erst recherchieren müssen, um welche Gefahrstoffe es sich ggf. handelt und wie mit ihnen umzugehen ist, sind klar im Vorteil.
Roman Elsen
Stellv. Leiter Fachgruppe Gefahrgut VDSI Verband Dt. Sicherheitsingenieure, Geschäftsführer T&E Gefahrgutlogistik GmbH (Wittlich-Wengerohr)
Heute wird häufig alles verteufelt, was sich bewegt. Es ist unbestreitbar, dass auch dieser Generalverdacht seine Vorgeschichte hat. Aber die Lösung kann nicht die Abschaffung des Verkehrs sein, sondern die Sensibilisierung für seine Anforderungen. Und dann als Konsequenz die ausreichende Investition in Fahrer, die wissen, was sie transportieren und die ihre Technik beherrschen. Das heißt Ausbildung, Ausbildung und nochmals Ausbildung. Unsere Verkehrsinfrastruktur ist auf die wachsende Zahl an Transporten, ob ‚normale’ oder ‚Gefahrgut’-Transporte gar nicht eingerichtet. Wir können natürlich davor die Augen verschließen, wir können aber auch aus genau diesen Problemen unsere Lösungsansätze entwickeln. Aus diesem Grund bauen wir zum Beispiel demnächst einen Security-Parkplatz bei Wittlich mit 327 Stellplätzen, als Pilotprojekt eines flächendeckenden europäischen Netzes zur Professionalisierung des Güterverkehrs.
Sven Kische
Stellv. Geschäftsführer VSL Verband Spedition & Logistik NRW e.V. (Düsseldorf)
Der VSL NRW arbeitet mit den Industrie- und Handelskammern und den Berufsschulen in allen Fragen der Berufsausbildung eng zusammen und wirkt in Prüfungsangelegenheiten entscheidend mit, bietet aber ebenso interne Schulungen an, z.B. in unserer Logistik-Akademie. Daher sind die Gefahrgutspezialisten unter unseren Spediteuren in aller Regel sehr gut ausgebildet. Deshalb sind auch deutsche Unternehmen extrem selten an Unfällen beteiligt. Das Problem ist häufig, dass der verladende Kunde oftmals den Logistik- oder Transportdienstleister ausschließlich nach Preisgesichtspunkten auswählt. Das mag zwar der billigere Weg sein, ob es am Ende kostengünstiger ist, darf insbesondere bei der Beförderung von Gefahrgut bezweifelt werden. Auch der Auftraggeber der Spedition muss wissen: Die Sicherheit hängt von der Qualität der beauftragten Spedition ab, und Qualität kostet nun einmal Geld. Umgekehrt: Wo die Preise unter die Schmerzgrenze gedrückt werden, ist es logisch, dass die Einsparung irgendwo herkommen muss. Vernünftige Geschäftsbeziehungen sind eben auch im Blick auf die Sicherheit die beste Vorsorge.
Dipl.-Ing. Roland Nowaczyk
Wissenschaftl. Mitarbeiter Referat CAV/Prävention der BG Chemie (Heidelberg)
Die großen Chemieunternehmen, die sich für Sicherheitsfragen eigene Stäbe leisten, haben die wenigsten Probleme. Hier gehen Sensibilität und Know-how eine gute Verbindung mit den selbstgesetzten hohen Sicherheitsstandards ein. Bei der BASF z.B. verlässt kein Gefahrguttransport das Werksgelände, ohne dass das Fahrzeug, seine Ausrüstung und seine Deklarierung kontrolliert wird. Das Heil liegt neben der Technik, die den Menschen unterstützt, in hochqualifizierten und bestens geschulten Mitarbeitern. Auch wenn Sicherheit Chefsache ist – ohne Mitarbeiter, die wirklich wissen und verstehen, was sie tun und warum sie es tun, lässt sich Sicherheit nicht erreichen. Wo es in logistischen Prozessen um gesundheitsschädliche Stoffe geht, muss das nötige Bewusstsein zwar zuerst bei den Vorgesetzten, dann aber immer auch bei den einfachen Mitarbeitern geweckt, das Wissen in die Breite getragen werden.
Dr. Jens Reppenhagen
Geschäftsführer RS Roman Seliger (Norderstedt bei Hamburg)
Trotz aller Ausbildung – das menschliche Versagen ist ein konstanter Faktor. Ziel von Sicherheitsüberlegungen ist deshalb konsequenterweise, den Menschen zu entlasten, nämlich durch Technik, die menschliches Versagen abfedert. Sei es durch Standardisierung und durch Codierung der Anschlüsse, durch elektronische Überwachungssysteme oder durch den allmählichen Austausch offener durch geschlossene Leitungssysteme. Besser als alles andere belegt die große Zahl der Ersatzbruchbolzen für unsere Nottrennkupplungen, die wir Jahr für Jahr verkaufen, wie oft etwas passieren könnte, wenn man nicht die richtigen Armaturen einsetzen würde! Dass im Fluidhandling 100 % Sicherheit herrscht, wäre wünschenswert. Diesen Idealzustand werden wir nicht erreichen. Aber was technisch nötig ist und was an Lösungen im System vorhanden ist, das muss auch eingesetzt werden. Hier geht es um Sicherheit, und hier darf es keine Kompromisse geben!
Heinz Scharrenberg
Stellv. Vorsitzender VSL Verband Spedition & Logistik NRW, GF Spedition ES Ernst Scharrenberg (Mettmann)
Wir tragen die Verantwortung dafür, unsere Leute zu schulen. Aber wir müssen das auch kommunizieren! Gerade bei Auftraggebern, die, wenn ihr Logistikbudget nicht reicht, sich für keine Zertifizierung mehr interessieren. Unsere Kunden müssen wissen, dass ihr Material eben von Leuten gesteuert wird, die Ahnung haben. Woraus sich ergibt: Solche Transporte müssen teurer sein als die der Billigheimer. Kompetenz und Sicherheit gibt es nicht umsonst! Uns ist es immer am liebsten, wenn wir gemeinsam mit unseren Kunden Projekte erarbeiten und zu Papier bringen. Wir brauchen die ununterbrochene Informationskette vom Auftraggeber bis zum Transporteur, vom Disponenten bis zum Fahrer. Je mehr Informationen auf dem Tisch liegen, desto besser ist es für uns Dienstleister und die Nutzer unserer Dienstleistung. Und desto sicherer läuft der Prozess!
Moderator Louis Schnabl
Fachjournalist, Institut für Kommunikation Bau und Technik (Düsseldorf)
Wir müssen die Normen, Richtlinien und Auflagen positiv im Markt kommunizieren. Und deutlich machen, dass auch kostenintensive Maßnahmen zur Sicherung der Verladeprozesse kein Standortnachteil sind, sondern unternehmerisch unabdingbare Investitionen in die Existenzsicherung des eigenen Unternehmens. Es gibt im Markt genügend Know-how und Sicherheitstechnik. Was aber fehlt, ist die systematische Vernetzung dieser Ressourcen, ist die Kommunikation über die Grenzen aller am Prozess Beteiligten, also das regelmäßige Gespräch am runden Tisch. Und begleitend dazu die Kommunikation auf allen Ebenen.
Dipl.-Volkswirt Thomas Vierhaus
Hauptgeschäftsführer VTH Verband Technischer Handel e.V. (Düsseldorf)
Die Betriebssicherheitsverordnung ist ein komplexes Instrument, nicht jeder Unternehmer kann es ohne weiteres beherrschen. Deshalb sind Partner wie der Technische Handel wichtig, die diese Unternehmen begleiten. Die nicht nur sagen, was zu tun ist, sondern auch die Mittel zu einer wirksamen Prävention beschaffen. Die Wege zu mehr Sicherheit gemeinsam gehen und dann auch noch erklären, wie man dabei Geld sparen kann. Wenn es um Sicherheit in der Schlauch- und Armaturentechnik geht: Holt die Spezialisten – alles andere ist Unsinn. Der Technische Handel hat die Geprüften Fachberater, die zur Prüfung ’Befähigten Personen’ (laut Druckgeräterichtlinie) und die Werkstätten zur fachgerechten Konfektionierung. Er hat das breite Sortiment an Qualitätsprodukten und den direkten Draht zu den Herstellern. Wo der Technische Handel das Projekt begleitet, wird es nicht nur sicherer, sondern auch kostenmäßig praktikabel. Einen Billigeren findet man zwar immer. Aber keinen, der auch Verantwortung trägt.