Lebensmittel – Kontaktmaterialien im Brennpunkt
- Welche Standards sind in der Lebensmittelproduktion neben den gesetzlichen zu beachten?
- Wer weiß, welche Gesetze und Normen wann und wo gelten?
- Wann ist eine Konformitätserklärung nötig?
- Wer ist wo, für was, wann verantwortlich?
Diesen und anderen Fragen gingen auf Einladung des VTH Verband Technischer Handel e. V. Vertreter von Industrie, Fachverbänden, Instituten und Technischem Handel nach. Sie trafen sich in Düsseldorf zum Expertengespräch über das Thema „Lebensmittel –
Kontaktmaterialien im Brennpunkt.
Was geht wie im Produktionsprozess?“
Die zehn wichtigsten Forderungen
- Regelungen wie für Kunststoffe auch für alle anderen Werkstoffe einführen
- einheitliches System statt Parallelvorschriften
- europäische Vereinheitlichung der Auflagen, um Wettbewerbsgerechtigkeit herzustellen
- beratende Organisationen dürfen nicht eigenständig höhere Anforderungen stellen und dies als Maßstab für Prüfungen nehmen
- neben Herstellern, Handel und Anwendern auch Instandhalter und Reinigungsdienstleister in die Pflicht nehmen
- Anforderungen an Rückverfolgbarkeit eindeutig regeln
- Komprimierung komplexer Regelungen und Kommunikation durch Sofortinformationen
- vor Konformitätsforderungen erst einmal fragen: Was kommt wirklich mit Lebensmitteln in Kontakt?
- bei aller Regelungswut Maß halten: vernünftiges Verhältnis Aufwand – Nutzen – Kosten
- nicht wursteln, sondern aktiv kommunizieren und offensiv gemeinsam auf optimierte Regelungen hinarbeiten.
Dipl.-Ing. Matthias Balley
Referent für Technik und Normung im VDMA-Fachverband Nahrungsmittelmaschinen und Verpackungsmaschinen
„Für Materialien und Gegenstände für Lebensmittelkontakt muss, sofern per Gesetz oder Vereinbarung so festgelegt, eine Konformitätserklärung oder Bescheinigung geliefert werden. Das gilt für Maschinen und Ersatzteile. Weitergehende Unterlagen sind Bestandteil der internen Dokumentation und müssen auf Anfrage nur den Behörden vorgelegt werden. Der Betreiber der Produktionsanlage ist dafür verantwortlich, nur Ersatzteile oder Betriebsstoffe einzusetzen, die den lebensmittelrechtlichen Anforderungen ebenfalls genügen.“
Rolf Effenberger
Vorstand VTH-Fachgruppe „Schlauch- und Armaturentechnik“, Abteilungsleiter Schlauch-, Armaturen & Fluidtechnik, Rala GmbH & Co. KG
„Der Aufwand, jegliche Konformität zu prüfen, zu dokumentieren, dem Produkt zuzuordnen, auszudrucken und langfristig zu verwalten, produziert noch keine Lebensmittelsicherheit, sondern beschäftigt viele Leute und kostet viel Geld, was das eigentliche Produkt verteuert.“ „Es darf nicht sein, dass beratende Organisationen über die gesetzlich geregelten Anforderungen hinaus eigenständig höhere Anforderungen stellen, vor allem nicht, dass sie diese als Maßstab für Prüfungen nehmen.“
Dipl.-Ing. Willi Emde
Leiter Segment Industrieschläuche, ContiTech Schlauch GmbH
„In mehr als 20 Jahren europäischer Normungsarbeit mussten wir lernen, dass übergreifende Verordnungen von europäischer Seite verhindert wurden. Wettbewerb ist schön und gut, aber die Hürden, über die wir springen sollen, müssen für alle Marktteilnehmer gleich hoch sein.“ „Es gibt viele Produkte auf dem Markt, die anders als die Kunststoffe nicht geregelt sind. Dazu zählen nicht zuletzt Gummiwerkstoffe. Wir halten uns an die FDA-, die BfR- und die KTW-Vorgaben, aber schon für die Farben, die unsere Vorlieferanten z. B. für die Purpurschlange liefern, gibt es keine Zulassungen.“uropäischer Normungsarbeit mussten wir lernen, dass übergreifende Verordnungen von europäischer Seite verhindert wurden. Wettbewerb ist schön und gut, aber die Hürden, über die wir springen sollen, müssen für alle Marktteilnehmer gleich hoch sein.“
Dipl.-Kfm. Peter Mühlberger
Vorsitzender VTH Verband Technischer Handel e. V., Geschäftsführender Gesellschafter Mühlberger-Gruppe
„Wir müssen mit dem Kunden ein Anforderungsprofil an Anwendungen und Produkte entwickeln. Wir brauchen klare Aussagen und müssen wissen, welche Dokumentationen wirklich benötigt werden. Das bedingt auch bei Importen deutlich mehr Konsequenz in der Umsetzung durch die Anwender.“ „Es gibt in Sachen Lebensmittelhygiene genügend hehre Grundsätze, die immer wieder schnell den Erfordernissen des Marktes geopfert werden. Wir müssen hier einen modus vivendi finden, wie es in der Pharmabranche schon gelungen ist.“
Rüdiger Schiffer
Technischer Service, OKS Spezialschmierstoffe GmbH
„Der qualifizierte Technische Handel als Bindeglied zwischen den einzelnen Akteuren der Lieferkette hat eine bedeutende Rolle als kompetenter Berater und Wissensvermittler. Die Beratung macht den Unterschied!“ „Für die gesetzeskonforme Umsetzung der entsprechenden Maßnahmen im Umgang mit dem Schmierstoff bezüglich Lagerung und Handhabung nach dem Sicherheitsdatenblatt ist der Gefahrstoffbeauftragte des jeweiligen Betriebs zuständig.“
Moderator Louis Schnabl
Fachjournalist Technik, IKBT, Institut für Bau- und Technikkommunikation
„Die Frage ist, wer diese unterschiedlichen Informationen zusammenführt und bündelt. Gut beraten ist, wer wie der VTH auf Networking setzt und dies beispielhaft bei der Online-Branchenplattform www.tectop-vth.de bereits realisiert.“ „In der breiten Öffentlichkeit gibt es kaum ein Bewusstsein, was in der Lebensmittelproduktion im Hintergrund an Regulierungsarbeit läuft, in Erscheinung treten wird in erster Linie der Problemfall.“e unterschiedlichen Informationen zusammenführt und bündelt. Gut beraten ist, wer wie der VTH auf Networking setzt und dies beispielhaft bei der Online-Branchenplattform www.tectop-vth.de bereits realisiert.“
Heinz Siggemann
Vertriebsleiter Industrie, Henkel AG & Co. KGaA, Standort München
„Mit Lebensmitteln kommen Klebstoffe in der Regel nicht in Kontakt, nur mit Verpackungsmaterialien oder Werkzeugen – und dann nur ausgehärtet. Als Kontaktmaterialien eingestuft unterliegen sie bei der Konformitätserklärung den Anforderungen an Kunststoffe.“ „Rückverfolgbarkeit ist für uns kein Problem. Wir können jede Charge belegen. Doch wer verfolgt, welche Charge Klebstoff wo eingesetzt wird? Man muss sich darüber im Klaren sein: Es sind immer Einzelanwendungen. Bei der Masse der Hersteller kann das keiner dokumentieren.“
Dr. Sieglinde Stähle
Dipl.-Ing. Lebensmitteltechnologie, Wissenschaftliche Leitung BLL Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e. V.
„Neue Regelungen im Lebensmittelrecht dürfen keinen Selbstzweck darstellen, vielmehr muss ihre Notwendigkeit wissenschaftlich per Risikoanalyse untermauert werden. Der BLL empfiehlt, nationalen Alleingängen sowie sämtlichen vom EU-Recht abweichenden Auslegungen dringend Einhalt zu gebieten.“ „Wo es um Lebensmittelverpackungen geht, ist im Interesse der Verbraucher eine Regulierung erforderlich. Aber wir müssen aufpassen, dass wir dabei nicht über das Ziel hinausschießen. Schließlich sollen die Lebensmittelhersteller mit Lebensmitteln handeln und nicht mit Papier!“
Ulf Thießen
Direktor Vertrieb und Marketing, GEA Tuchenhagen GmbH
„Eine Reihe von Problemen könnte sich schon dadurch legen, dass wir erst einmal die Frage stellen: Geht das Ersatzteil oder das Werkstück wirklich in die Produktion? Kann der Werkstoff dem Lebensmittel wirklich schaden? Und danach ist zu entscheiden, ob Konformitätserklärungen hier tatsächlich gebraucht werden.“ „Unser Hauptwerkstoff Edelstahl ist im Blick auf den Kontakt zu Lebensmitteln völlig unproblematisch. Aber sobald andere Werkstoffe mit ins Spiel kommen, brauchen wir die Experten im Technischen Handel, die sich mit den Produkten und den (internationalen) Regularien auskennen.“
Dipl.-Volksw. Thomas Vierhaus
Hauptgeschäftsführer VTH Verband Technischer Handel e. V.
„Der Technische Handel ist der Know-how-Träger und der Berater schlechthin. Aber bei den vielen Konformitätserklärungen, die in Wahrheit keine sind, und den vielen Stoffen, für die es keine beschlossenen Einzelmaßnahmen gibt, können selbst wir häufig keine konkreten Informationen zur Verfügung stellen.“ „Der Technische Handel muss alle Informationen bei den Vorlieferanten erfragen, sie für seine Kunden erfassen und bündeln. Das ist eine gewaltige Herausforderung. Aber der Handel muss diesen Wissensvorsprung nicht nur erarbeiten, er muss ihn auch kommunizieren!“
Dipl.-Ing. (FH) Andreas Will
Leiter Entwicklung Geschäftsbereich Dichtungen, Frenzelit Werke GmbH
„Regulierte Werkstoffe wie Kunststoff und Kautschuk sind nur bis zu einer Anwendungstemperatur von 260 °C beständig. Bei höheren Temperaturen fliegen sie dem Anwender um die Ohren. In diesem Konflikt hat für mich die Sicherheit von Leib und Leben immer Vorrang.“ „In der AWT werden wir jeden Tag mit dem Thema Lebensmittelkonformität konfrontiert. Das sind wichtige Fragen. Wir müssen aber auch sehen: Es bestehen große Lücken in der Umsetzung. Die Kette vom Hersteller über den Handel zum Anwender ist nicht geschlossen - es gibt im Einsatz von Dichtungsmaterialien tatsächlich nicht regulierte Bereiche. In diesen Grauzonen sind Konflikte programmiert. Das beschäftigt natürlich Hersteller und Händler ebenso wie den Endkunden. Denn in der Konsequenz führen diese Grauzonen zu Rechtsunsicherheit, aber auch zu Wettbewerbsnachteilen.“