EnergieWende in Deutschland
Die Entwicklung und stetige Verschärfung von der ersten Wärmeschutzverordnung bis zur heutigen Energieeinsparverordnung hatte die Richtung bereits vorgegeben. Energieeinsparung ist das nationale Ziel, Klimaschutz das globale. Aber erst seit Fukushima ist die politische EnergieWende komplett: Die Weichen sind gestellt für einen Energiemix ohne Kernkraft, dafür aber mit immer mehr regenerativen Elementen. Die technischen Voraussetzungen sind sowohl von Seiten der Energiewirtschaft als auch der Baustoffindustrie gegeben. Aber was sind die politisch-rechtlichen, technischen, finanziellen und städtebaulichen Konsequenzen der Umsetzung? Was heißt das für Planer, Ausführende, Investoren und private Bauherren in der Praxis? Da stehen noch viele Fragezeichen. Die Konsequenzen der EnergieWende für die Baubranche wurden beim 9. WOLFIN-Expertengespräch in Wiesbaden von Experten aus Industrie, Handwerk und Verbänden mit Blick auf die Praxis intensiv diskutiert.
EnergieWende – Die 11 wichtigsten Forderungen
- richtiges Wohnen schon in der schulischen Ausbildung verankern
- Bauphysik als Basiswissen in der Bauwirtschaft
- mehr Planungssicherheit durch verlässliches Ordnungsrecht
- professionelle Beratung mit Beraterhaftung in der Planungsphase
- Fördermaßnahmen, die auch den privaten Endverbraucher erreichen
- Abschreibung für energetische Maßnahmen auf zehn Jahre verlängern
- neben dem Energieausweis auch ein Hygienepass für gesunde Raumluft
- Datenblatt-Infos auch über Wechselwirkungen eingesetzter Baustoffe
- flexibler Umgang mit stadtbildprägenden Altbauten, einheitliche Bewertungsmaßstäbe
- ökonomische und ökologische Ressourcennutzung bis zur Verwertung nach Rückbau
- verstärkte Kommunikation auf Profi- wie auf Bauherrenebene
Stefan Betz
SV für Feuchtigkeitsschäden und mikrobielle Schäden, SV für Schimmelpilze in Innenräumen (IHK Koblenz), Beigeordneter Vorstand Bundesverb. Schimmelpilzsanierung e.V. (Hellertshausen)
„Bauen ist so komplex geworden, dass es unverantwortlich wäre, nur das eigene Gewerk oder das eigene Produkt ohne seine Wechselwirkungen zu sehen. Wir brauchen dringend eine Professionalisierung des Beraterwesens mit interdisziplinär geschulten Fachleuten, die wissen, wovon sie reden, dies auch dokumentieren und die daher auch in die Beraterhaftung genommen werden können.“
Hans Fischer
Dachdeckermeister Geschäftsführer Fischer Dach GmbH (Wertheim-Bettingen)
„Fördermaßnahmen sind nur recht und billig als eine Gegenleistung für die ‚schleichende Enteignung’, die dadurch stattfindet, dass der Gesetzgeber mit seinen Vorschriften in das Eigentumsrecht des Bauherrn eingreift. Wenn aber öffentliche Gelder als Fördermaßnahmen fließen, dann bitte auch mit fachlicher Überwachung, die schwarzen Schafen keine Spielwiese lässt.“
Prof. Dr. Petra Kirberger
Rechtsanwältin Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht (Siegen/Dresden) Honorarprofessorin für Baurecht an der Universität Siegen
„Früher gab es Verordnungen in der Regel erst nach reiflicher Überlegung. Heute werden oft erst die Ziele vorgegeben, und das Problem, den geeigneten Weg zu finden, wird auf die Umsetzungsebene verlagert. Natürlich muss etwas passieren, aber bitte aus Überzeugung, nicht mit Zwang. Und mit Kontinuität, nicht nur mit rasch wechselnden Vorgaben.“
Dipl.-Ing. Bauwesen Gregor Menzel
Öffentlich bestellter und vereidigter SV für Schäden an Gebäuden (Idstein), stellvertretender Leiter der Fachgruppe Bautechnologie im BVS (LV Hessen)
„Anleitungen zum ‚richtigen Wohnen’ gibt es mittlerweile reichlich. Viel bewirkt haben sie nicht. Den Nutzer werden wir wohl nicht verändern. Wir können schon versuchen, das Nutzerverhalten zu bewerten. Es steht uns schon zu, aber es ist äußerst schwierig und meist nicht gerichtsfest. Dennoch müssen und können wir die Gebäude technisch verändern und den neuen Anforderungen anpassen. Zwangslüftungen z. B. machen das ‚richtige Lüftungsverhalten’ überflüssig.“
Dipl.-Ing. Corinna Merzyn
Architektin Geschäftsführerin VPB Verband Privater Bauherren (Berlin)
„Bei aller Bejahung der Klimaziele – kein Mensch will in Städten wohnen, die kein Gesicht mehr haben, weil alte Gebäude nur mit der preiswertesten Methode energetisch ertüchtigt werden. Gerade unterhalb der Denkmalschwelle muss deshalb gründlich geprüft werden, wie Hausbesitzer gestaltbewahrend energetisch sanieren können, ohne ganz alleine die enormen finanziellen Mehrbelastungen für die stadtbildgerechte Gestaltung tragen zu müssen. Im Konflikt zwischen Klimaschutz und Stadtbild sind daher einheitliche, berechenbare Bewertungsschemata zu entwickeln.“
Günther Reese
Geschäftsleitung WOLFIN Bautechnik GmbH (Wächtersbach)
„Bauphysik ist Basiswissen für die Bauwirtschaft. Es sollte kein Architekt Examen machen können, kein Handwerker den Meisterbrief erhalten, der sich nicht eingehend mit den Grundlagen der Bauphysik beschäftigt hat. Selbst in den Schulen muss angewandte Bauphysik ein Thema werden, denn hier wachsen die Verbraucher auf, die ihre Wohnungen und Häuser später werterhaltend nutzen wollen.“
Louis Schnabl
Baufachjournalist Institut für Kommunikation Bau und Technik (Düsseldorf)
„Die Energiefrage, insbesondere das Einbeziehen der regenerativen Energieträger auch in den Bauprozess, führt mittelfristig zu einem Umbau des gesamten Gebäudebestandes. Nur mit grundlegend neuen Denkansätzen ist die EnergieWende überhaupt zu schaffen. Das hat Konsequenzen von der Baustoffauswahl bis zur Haustechnik, von der Planung bis zum Nutzerverhalten.“
Peter Seelig
Geschäftsführer FMI Fachverband Mineralwolleindustrie e.V. (Berlin)
„Für eine vernünftige EnergieWende brauchen wir politische Nachhaltigkeit. Es kann nicht sein, dass bei jeder Wahl die Karten neu gemischt werden. Wer Verantwortung für das Ganze in unserer Bauwirtschaft übernimmt, muss allen Baubeteiligten eine ordnungsrechtliche Planungssicherheit geben. Das gilt etwa für die Kalkulierbarkeit von Investitionen und Fördermaßnahmen“